Antwort statt Plot
Imaginal Fiction erzählt nicht, was geschieht, sondern was antwortet. Daraus ergibt sich nicht eine Handlungs-Struktur im klassischen Sinn, keine gängige Plot-Struktur (oder -Schablone), sondern eine Dynamik der Antwort.
Ich beobachte nun eine Dynamik, ohne sie zur rigiden neuen Gebrauchsanweisung (»How to Write Imaginal Fiction« – oder: »Make Your Story More Imaginal!«) machen zu wollen.
Die Antwort-Dynamik
1. Öffnen (der Wahrnehmung)
Nicht ein Ereignis (inciting incident genannt) setzt alles in Gang, sondern eine Verschiebung der Wahrnehmung: Etwas fällt aus dem Gewohnten, wird spürbar, vielleicht ganz unaufdringlich, nicht dringlich, subtil. Die Welt zeigt eine Unregelmäßigkeit, ein Bild, ein Schweigen.
Nicht Handlung beginnt, sondern ein Raum öffnet sich, in welchem Resonanz entstehen kann.
2. Berühren (des Inneren durch das Äußere)
Diese Verschiebung des Wahrgenommenen wird nicht interpretiert, sondern erkundet, um es zu empfangen, nicht, um es zu kontrollieren. Daher auch nicht rein mental, sondern körperlich, emotional, imaginal. Die Welt tritt näher.
Die Figur wird nicht aktiv, sondern empfänglich.
3. Erfahren (als Fragestellung)
Was sich zeigt, wird nicht sofort gedeutet – kann nicht –, sondern verändert das Verhältnis zur Welt. Es entsteht eine Erfahrung, die noch ohne Verständnis ist, aber die Bedeutung bereits vollzieht.
Erfahrung wird nicht gemacht, sie geschieht und wirkt nach. Die Figur ist Zeugin.
4. Begegnen (mit dem Anderen)
Die Figur trifft nicht (oder nicht nur) auf Gegner oder Verbündete, sondern auf etwas oder jemanden, der nicht voll erfassbar ist. Nicht, weil es ein unausgesprochenes Geheimnis gibt, oder eine dunkle Vergangenheit (ist ja dasselbe), sondern weil dieses Etwas oder dieser Jemand tatsächlich nicht voll erfassbar ist. Nun – nicht ist vollständig erfassbar, weil nichts isoliert und permanent ist. Warum also dieses Nicht-Erfassbare, dieses Unverfügbare? Weil sich die Wahrnehmung verändert hat. Die Begegnung lässt sich nicht ganz verstehen, aber man kann in Kontakt bleiben.
Das Andere wird nicht überwunden, sondern empfangen. Der Schlüssel dazu ist Offenheit.
5. Antworten (als Geste, nicht als Lösung)
Aus dem Begegnen entsteht ein Bewegen: eine Antwort. Diese ist keine Entscheidung im klassischen Sinn, sondern ein inneres oder äußeres Handeln, das nicht richtig oder falsch ist, sondern stimmig. Es ist auch keine Reaktion, denn Reaktionen geschehen in Mustern. Eine Antwort ist durch einen verkörperten (und damit weitgehend unbewussten) Kultivationsprozess gegangen und verkörpert sich weiterhin.
Antworten ist ein Akt der Verbindens, nicht der Kontrolle.
6. Verkörpern (der Antwort im Sein, im Tun)
Antwort bleibt nicht Idee und auch nicht punktuelle oder situative Handlung, sondern nimmt im Körper Gestalt an, in der Haltung, der Lebenshaltung, in der Art, da zu sein. Der Körper verankert, gibt aber keine falsche Sicherheit, dass „jetzt alles gut ist“.
Die Welt wird nicht verändert, sie wird durch lebendige, öffnende, nicht abschließende Antwort bewohnt und bewohnt die Figur..
7. Rückbinden (ohne Rückkehr in eine alte Welt)
Am Ende steht kein Finale, keine zwingende Lösung oder Erlösung, denn es handelt sich nicht um ein endliches Spiel, sondern um ein unendliches, das sich immer weiter entfaltet und einfaltet. Kurz: atmet. Die Figur trägt etwas, das nicht abgeschlossen ist und nicht abgeschlossen sein kann: eine Hinwendung zur Welt. Die Welt bleibt offen.
Nicht Plot erzeugt Wandel, sondern die Geste der Antwort.
Was ich noch sagen möchte
Diese Skizze ist kein Modell, keine Schablone.
Die Skizze beschreibt keine Kurve, die der Protagonist kriegen muss, sondern eine Spirale. Es gibt kein Endziel, sondern eine Verdichtung der Weltbeziehung, immer und immer wieder.
– Lucas Martainn