Was ist Imaginal Fiction?
Imaginal Fiction ist eine literarische Gattung, die neue Zugänge zur Wirklichkeit eröffnet und sie vertieft. Diese Literatur öffnet Räume für Schichten des Erlebens, die nicht immer offensichtlich und doch so kraftvoll sind: das Leise, das Tiefe, das Antwortende.
Geschichten sind Werkzeuge, mit denen wir unsere Beziehung zur Realität erkunden und vertiefen können – nicht mehr und nicht weniger. Als Fiction ist und bleibt Imaginal Fiction fiktional. Sie erhebt keinen Anspruch darauf, wörtlich oder faktisch genommen zu werden. Zugleich unterscheidet sie sich aber zum Beispiel deutlich von Fantasy:
Fantasy entwirft andere Welten. Imaginal Fiction richtet den Blick auf diese Welt.
Fantasy bewegt sich von der erfahrbaren Wirklichkeit weg. Imaginal Fiction vertieft sich in sie hinein.
Fantasy lädt dazu ein, der Realität zeitweise zu entfliehen. Imaginal Fiction lädt ein, der Realität auf neue Weise zu begegnen.
»Imaginal Fiction öffnet einen Raum, in dem sich das Wirkliche vertiefen und die Welt als antwortend erlebt werden kann.«
Lesen als Resonanz-Heimat
Imaginal Fiction lädt nicht zur Flucht in eine andere Welt ein, sondern öffnet einen Raum, in dem sich die eigene Wirklichkeitserfahrung vertiefen kann. Imaginal Fiction versteht das Lesen nicht als Konsum, sondern als Erfahrung und Begegnung. Sie bietet eine Landschaft, in die man eintritt, in die man eintaucht und in der man seine eigenen Entdeckungen macht. Lesende werden zu Reisenden, ja zu Pilgerinnen und Pilgern, nicht im religiösen Sinn, sondern weil sie sich bewusster auf das Konkrete, Wirkliche ausrichten.
In einer Zeit der Reizüberflutung entsteht hier ein anderer Raum: konzentriert, vieldimensional und doch geerdet, offen, berührbar. So kann ein Ort entstehen – eine Heimat in dieser Welt, nicht überflutet und nicht an der Oberfläche. Ein Boden, fest und zugleich durchlässig, durch den das Uralte hindurchscheint, wenn es sich erneuert. Ein Grund mit Spalten, Ritzen und Poren, in den wir unsere Wurzeln senken können.
»Imaginal Fiction gibt der Sprache die Freiheit, selbst zu einer Figur zu werden, die ihre eigene Wandlung durchläuft.«
Wirklichkeit in Schichten
Imaginal Fiction ist kein Fenster in eine andere Welt. Sie bleibt in dieser Welt verankert. Imaginal Fiction vertieft sich in diese Welt, bis sie als antwortend erlebt werden kann, und entdeckt darin das Vieldimensionale, das Poetische, das Werdende (und auch das Verlorene). Sie wirkt nicht durch Archetypen oder generische Bilder, sondern durch die einzigartige Unwiederbringlichkeit des Moments (Thisness). Das Imaginale ist ein Beziehungsort, aus dem Mensch und Welt, Bild und Sinn, Innen und Außen sich entfalten.
Imaginal Fiction zielt nicht auf Selbstverwirklichung, sondern auf eine Form von Weltverwirklichung – auf die Formwerdung einer tieferen, oft unbeachteten Wirklichkeitserfahrung, die sich nur im Durchgang durch das eigene Erleben zeigen kann. Visionary Fiction dagegen (Selbstverwirklichung) erzählt von innerem Erwachen als Motor äußerer Veränderung. In Imaginal Fiction erscheint die Welt auf der Ebene der Erzählung selbst als erwachendes Subjekt.
»Imaginal Fiction macht das Vertraute durchlässig für andere Tiefenschichten.«
Eine Literatur der Gegenwart und der Gegenwärtigkeit
Imaginal Fiction passt in keine bekannte Schublade. Sie berührt Themen wie Wandel, Verbundenheit, Sehnsucht, Heimat, Sinnhaftigkeit, Zugehörigkeit und Identität und bettet sie neu ein, ohne vereinfachende Antworten zu geben.