Imaginal Fiction und Visionary Fiction
Die kleine Reihe »Imaginal Fiction und …« ist eine betrachtende, nicht bewertende Gegenüberstellung von Imaginal Fiction und verwandten Genres. Die Gegenüberstellung hilft mir, die Eigenheiten von Imaginal Fiction klarer zu erfassen. Ich möchte damit jedoch nicht festlegen, dass Imaginal Fiction ein Genre ist. Das ist nicht meine Aufgabe. Ich betrachte Imaginal Fiction in erster Linie als Erfahrung und darüber hinaus als Ort der Begegnung.
Der schreibende Mensch muss wissen, in welchem Genre er schreibt, heißt es. Spätestens bei der Klassifizierung im Buchsystem und bei der Positionierung auf dem Büchermarkt ist das auf alle Fälle so.
Das war bei mir und der Pionéa-Trilogie gar nicht so einfach. Erst dachten wir uns, sie sei als Visionary Fiction einzuordnen. (Eine Einordnung, die es im deutschen Buchhandel gar nicht gibt …)
Doch nein!
Warum nicht? Darum:
Visionary Fiction erzählt von innerem Erwachen als Motor äußerer Veränderung.
Imaginal Fiction lässt die Welt selbst zum erwachenden Subjekt werden.
Visionary Fiction führt Figuren durch Krisen zu höherem Bewusstsein.
Imaginal Fiction entfaltet Bewusstsein als Landschaft, durch die Figuren sich bewegen.
Visionary Fiction zeigt die spirituelle Entwicklung des Einzelnen als kollektive Hoffnung.
Imaginal Fiction fragt, was geschieht, wenn jemand einer inneren Bewegung wirklich folgt.
Visionary Fiction überschreitet die sichtbare Welt, um das Unsichtbare zu beleuchten.
Imaginal Fiction lässt das Unsichtbare im Sichtbaren mitklingen – ohne es zu entgrenzen.
Visionary Fiction nutzt Fiktion, um ein neues Weltbild zu entwerfen.
Imaginal Fiction öffnet Räume, in denen Welt sich auf neue Weise zeigen kann.
Visionary Fiction bringt das Mögliche zur Sprache, um das Wirkliche zu verwandeln.
Imaginal Fiction verweilt im Wirklichen, bis es antwortet und sich das Mögliche zeigt.
Visionary Fiction erkennt in jedem Menschen ein schöpferisches Potenzial.
Imaginal Fiction erkennt im Geschehen von Mensch und Welt ein schöpferisches Feld.
Visionary Fiction erzählt vom Licht, das im Dunkeln wächst.
Imaginal Fiction bleibt im Dunkeln, bis es selbst zu sprechen beginnt.
Visionary Fiction sieht im Erzählen einen Weg zur Heilung.
Imaginal Fiction sieht im Erzählen eine Weise, der Welt antwortbar zu werden.
Visionary Fiction folgt oft der Heldenreise – vom Ruf zur Rückkehr. Eine Reise mit einem Ziel. Die Reise ist Ausdruck einer Zwei-Welten-Mythologie.
Imaginal Fiction folgt keiner vorgegebenen Struktur, sondern der Eigenbewegung des Dialogs von Figur und Feld. Ein unendliches Spiel.
Visionary Fiction sucht die Einheit hinter der Vielheit.
Imaginal Fiction sucht die Resonanz mit dem Unverfügbaren.
Visionary Fiction trägt oft eine Botschaft, einen lebensphilosophischen Leitgedanken (meist einen einfachen, wie »Folge deinem Herzen«) und will diesen vermitteln.
Imaginal Fiction horcht auf Bilder, die unerschöpflich sind. und lässt sie wirken.
Kurz & gut
Visionary Fiction hat oft eine psychospirituelle Ausrichtung, bei der die individuelle Transformation im Vordergrund steht. Sie hat eine Botschaft und eine Mission.
Imaginal Fiction hingegen zielt nicht auf Selbstverwirklichung, sondern auf Weltverwirklichung – auf die Formwerdung einer tieferen, oft unbeachteten Wirklichkeit, die sich nur im Durchgang durch das eigene Erleben zeigen kann.
– Lucas Martainn