Science Fiction und Imaginal Fiction
Eine Klärung aus Anlass einer Rezension
„Anspruchsvoll, faszinierend, aber genreüberraschend“
So lautet der Titel einer gründlichen Rezension von LOOP, die mich sehr gefreut hat.
Die rezensierende Person kam mit der Erwartung, Science Fiction zu lesen, und fand stattdessen eine Geschichte, die sie als Mischung aus Fantasy, Metaphysik und spekulativer Fiktion beschreibt. Sie lobt Tiefe, Atmosphäre, Figurenarbeit, markiert aber eine Reibung: Genre-Mismatch.
Das ist hilfreich für mich. Denn ich habe Imaginal Fiction (wofür die Pionéa-Trilogie steht) schon Fantasy, Visionary Fiction und magischem Realismus gegenübergestellt, doch nicht Science Fiction. Denn Science Fiction kam bis jetzt in meinen Überlegungen zu Imaginal Fiction gar nicht vor. Ich mache diese Gegenüberstellungen nicht, um die Genres gegeneinander auszuspielen, sondern um Imaginal Fiction genauer herauszuarbeiten.
Darum hier drei Überlegungen, die, so hoffe ich, Imaginal Fiction noch genauer positionieren.
Neu oder alt?
Science Fiction ist die Literatur des Novums. Ein Novum bezeichnet etwas, das in unserer normalen Alltagswelt (noch) nicht möglich ist. Science Fiction fragt, was geschieht, wenn eine Neuerung (Technik, Entdeckung, Gesellschaftsmodell) unsere Welt verändert. Die Neuerung kann entweder erklärbar sein (»Leute, ich habe eine Zeit-Raum-Maschine gebaut!«) – oder Teil der Handlung ist, eine Erklärung zu finden. (»Wer sind die Aliens und was wollen sie?«)
Imaginal Fiction ist realitätsgebundene Gegenwartsliteratur, die das Antwortfeld der Wirklichkeit erfahrbar macht – ohne zweite Welt (weder metaphysisch noch außerirdisch), ohne neue Regeln und Gadgets.
Noch ein deutlicher Unterschied: Science Fiction befasst sich mit Neuem und Zukünftigem, Imaginal Fiction hingegen mit dem Uralten und Zeitlosen.
Welt und Welten
Imaginal Fiction funktioniert so: Wir bleiben in dieser Welt. Keine neuen Naturgesetze. Das »Neue« entsteht durch ein Öffnen der Wahrnehmung und die dadurch entstehende Resonanz. Der Weg zu dieser Resonanz kann Teil der Handlung sein. Imaginal Fiction macht aus unserer Welt einen neuen Antwortraum. Es gibt kein Worldbuiding, aber eine Weltvertiefung.
Worldbuilding ist Teil von Science Fiction. Neue Epochen, andere Planeten, Kulturen mit anderen Regeln.
Die Zeit, die Zeit …
Zeitreisen sind nicht nur Science Fiction zuzuordnen. Auch Fantasy kann (ganz unbegründet, weil magisch) Zeitreisen enthalten. Gegenwartsliteratur kann mit der Nicht-Linearität von Zeit spielen. Der Zeitreise-Aspekt in der Pionéa-Trilogie führt also nicht dazu, dass sie Science Fiction zugeordnet werden kann.
(Ohnehin entsteht der Zeitreise-Aspekt durch das notgedrungen lineare Erzählen und ist nicht im Kern der Trilogie selbst – im »Bild« – angelegt. Das ist jedoch ein anderes Thema für ein andermal.)
Es wird wohl noch sehr viel Zeit vergehen, bevor »Imaginal Fiction« in ein Klassifizierungssystem des Buch- und Onlinehandels Einzug hält. Bis dann sind solche Mismatches vermutlich unvermeidlich. Auch die Kategorisierungen, die der Verlag angibt, dienen den Online-Riesen, allen voran Amazon, nur als Vorschlag. Sie lassen die Titel von KI lieber in ihre eigenen Systeme eingliedern, was manchmal zu seltsamen Zuteilungen führt.
So ist es mit diesen Dingen.
Ich möchte nochmals betonen, dass mich die differenzierte Rezension sehr gefreut hat. Danke, writtenbetweenthelines!
– Lucas Martainn